Datensouveränität
Wenn wir uns heute im digitalen Raum bewegen, generiert jede Person, privat oder öffentlich, kontinuierlich Daten. Sie sind die Handelsware der Zukunft und doch fällt ihre Verwaltung, Weiterverarbeitung und Nutzung oft in die Verantwortung weniger Akteure. Forderungen nach mehr Datensouveränität werden lauter – konkret bedeutet das größere Transparenz und mehr Kontrolle eines Akteurs über die Verwendung und Wertschöpfung der eigenen Daten. Dies betrifft sowohl den privaten, gewerblichen aber auch administrativen Sektor.
Die Garantie und Förderung dieser digitalen (Daten-)Souveränität ist in Deutschland schon seit einiger Zeit zu einer zentralen Staatsaufgabe geworden. Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung heißt es: »Darüber hinaus sichern wir die digitale Souveränität, u. a. durch das Recht auf Interoperabilität und Portabilität sowie das Setzen auf offene Standards, Open Source und europäische Ökosysteme, etwa bei 5G oder KI.«
Mit zunehmender Komplexität unseres digitalen Lebens wird es immer wichtiger, die Datenhoheit von externen Abhängigkeiten zu schützen und parallel einen offenen und transparenten Austausch zwischen Dienstleistenden und Endnutzerinnen und Endnutzern zu waren. Die Datensouveränität stellt sicher, dass die Informationen den rechtlichen Vorgaben und dem Schutz des Landes unterliegen, in dem sie physisch gespeichert sind.
Um Datensouveränität als Teilbereich der digitalen Souveränität möglichst umfassend zu gewährleisten, muss sie aus verschiedenen Perspektiven gedacht werden. Dazu gehört die Sicht der öffentlichen Verwaltung, Unternehmen, Forschungsinstitutionen, bis hin zu den individuellen Nutzerinnen und Nutzern. Herausforderungen sind unter anderem die fehlende Bereitschaft vieler Unternehmen ihren Datenschatz anderen gegenüber zu öffnen und am Wissensaustausch teilzunehmen. Fehlende Fachkräfte stellen ebenfalls eine Hürde dar, sowie eine allgemein mangelnde Digitalkompetenz. Diesen Problemfällen kann durch stärkere Integration in das Bildungssystem, Sensibilisierung für Datenschutz, Nutzerzentrierung und -freundlichkeit entgegengewirkt werden.
Datensouveränität in der digitalen Verwaltung
Im Zuge der Pandemie hat die Notwendigkeit der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen eine neue Dringlichkeit erreicht. Nutzerinnen und Nutzer werden mit einer Vielfalt von neuen Angeboten und Möglichkeiten konfrontiert. In einer derart fragmentierten Datenlandschaft fehlen öffentliche und umfassende Zugangsmöglichkeiten. Der Bedarf nach Plattformen, auf welchen Informationen und Daten verschiedener Dienstleistungen vereint und ausgetauscht werden, steigt – und so auch die Anforderungen an die Digitalkompetenz der Dienstleistenden. Nationale und kommunale Akteure müssen bezüglich der technischen Infrastruktur, Anbieterauswahl sowie Pflege und Schutz der Daten eigenständige Entscheidungen treffen.
Die Covid-19-Pandemie schuf neue Arbeitsprozesse und beschleunigte bestehende Trends. Besonders die Verschiebung vieler Arbeitsplätze in das eigene Zuhause führte und führt zu einer stark erhöhten Nachfrage nach digitalen Diensten in den Bereichen des Datenaustauschs, Messaging, Chats und Videokonferenzen. Die öffentliche Verwaltung, wie auch viele deutsche Firmen, steht im Zuge dessen vor einem Dilemma. Viele Angebote marktführender Firmen lassen sich nur unter Einbußen im Bereich des Datenschutzes und der Selbstbestimmung über die eigenen Daten realisieren. Zusätzlich befinden sich genutzte Server und Clouddienste im nicht-europäischen Raum, unter Umständen sind die unverschlüsselt in einer von Dritten betriebenen Cloud oder Plattform gespeicherte Daten gegenüber dem Anbieter technisch nicht geschützt.
Neuentstandene Plattformen, wie die des Gemeinschaftsprojekts Phoenix, bieten alternative Lösungen: Dataport implementiert hier gemeinsam mit seinen Projektpartnern, zu denen auch Fraunhofer FOKUS zählt, einen umfassenden digitalen Arbeitsplatz basierend auf Open-Source-Modulen. Für die Datenverarbeitung werden sichere Rechenzentren und Clouds öffentlich-rechtlicher IT-Dienstleister genutzt.
Damit beim Online-Shopping oder streamen von Filmen die eigenen Daten geschützt sind und Privatpersonen die Kontrolle darüber behalten, entwickelt Fraunhofer FOKUS im Projekt DataVaults eine vertrauenswürdige, sichere Palttform für personenbezogene Daten. Die Nutzerinnen und Nutzer können so entscheiden, wem sie ihre Daten unter welchen Bedingungen überlassen.
Unabhängigkeit von kommerziellen Mobilitätsplattformen schafft Fraunhofer FOKUS im Projekt Shuttles & Co. Ziel ist eine sich selbst aktualisierende Karte von Berlin, die von der Stadt selbst angeboten wird. Die aktuelle Straßensituation wird dafür nebenbei von Reinigungsfahrzeugen oder Bussen datenschutzgerecht mit Hilfe der Sensoren und der Videokamera eines Smartphones generiert. Die gesammelten Daten werden in ein zentrales Backend der Stadtverwaltung übertragen. Dafür hat Fraunhofer FOKUS die IVICA-App entwickelt. Veränderungen, wie ein fehlendes Straßenschild oder eine neue Baustelle, werden dann mittels intelligenter Algorithmen erkannt, qualitätsgesichert und in die Karte integriert. Die Stadt kann so kontinuierlich neue, eigene Straßendaten zur Verbesserung des Basis-Kartenmaterials nutzen. Das stärkt die digitale Souveränität und ermöglicht diverse Mobilitätsdienste, wie die Anzeige von freien Parkplätzen oder die Fahrrad-Kollisionswarnung. Extra Messfahrten, die den Verkehr und die Umwelt zusätzlich belasten, sind nicht mehr notwendig.
Souverän mit Datenoffenheit
Die Stichwörter Open Data und Offene Systeme finden sich im Diskurs um die digitale (Daten-)Souveränität an vielen Stellen wieder. Für die moderne Verwaltung sind effiziente, digitale Verwaltungsabläufe, neuartige Dienstleistungen sowie Transparenz und Partizipation unerlässlich. Durch das Bereitstellen von Verwaltungsdaten auf Open-Data-Plattformen können Kontrolle, Effizienz und Transparenz von Verwaltungsprozessen gefördert werden.
Auf kommunaler Ebene und im städtischen Bereich geht es nicht nur um eine Digitalisierung administrativer Prozesse, umfangreiche Smart-City-Konzepte – z. B. die durch Fraunhofer FOKUS mitgestaltete DIN SPEC 91357 »Referenzarchitekturmodell Offene Urbane Plattform« – beinhalten ebenso Ansätze für eine technologisch fortschrittliche und nachhaltige Stadtentwicklung. Fraunhofer FOKUS beteiligt sich am Daten-Kompetenzzentrum für Städte und Regionen (DKSR), welches aufbauend auf dem Netzwerk der Fraunhofer-Morgenstadt eine Open-Source-Datenplattform inklusive einer IoT-Plattform zur Anbindung von Sensorkonoten im urbanen Umfeld entwickelt, um Datensätze und Datenströme aus unterschiedlichen Systemen und Sensorik zu aggregieren, harmonisieren und zu integrieren. Der flächendeckende Einsatz, sowie der regelmäßige Austausch zwischen den Akteuren fördert den Wissensaustausch. Aufbereitete offene Daten und Datenströme werden hier genutzt, um individuell angepasste Anwendungen zu entwickeln.
Auf europäischer Ebene wurde Anfang dieses Jahrs mit data.europa.eu eine einheitliche Anlaufstelle für offene Daten geschaffen. Das Portal basiert auf einer von Faunhofer FOKUS entwickelten Technologie, die auch schon im Europäischen Datenportal im Einsatz war. Neben der Bereitstellung und Harmonisierung von Datensätzen aus den Mitgliedstaaten soll mit data.europa.eu auch Good Big Data Practice auf supranationaler und nationaler Ebene gefördert und Anregungen für den Ausbau und die Pflege nationaler Open-Data-Plattformen geschaffen werden. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die informationelle Selbstbestimmung der Mitgliedsstaaten und der EU selbst, und unterstützt die wissenschaftliche und sozialökonomische Entwicklung.
Suchmaschinen sind die erste Anlaufstelle für die meisten Datengesuche. Ein Verständnis für die Aufbereitung und Priorisierung der Ergebnisse ist bei der Sichtung wichtig, sodass die Nutzung souverän und mit einem kritischen Blick erfolgen kann. Umgekehrt müssen auch bereitwillig zur Verfügung gestellte Daten geschützt werden. Jedes erfasste oder erhobene personenbezogene Datum stellt selbst bei idealem Datenschutz einen Eingriff in die Privatsphäre der betroffenen Person dar und muss sich daher auf einen objektiven, gesellschaftlich anerkannten Bedarf abstützen.
6G Ready
Noch liegt die Implementierung des neuen Mobilfunkstandards 6G zwar in der fernen Zukunft, um so wichtiger ist es wichtige Themen wie Datenschutz und -souveränität bereits jetzt in der Entwicklung und Forschung mitzudenken. Nur so wird es für Anbieter und Entwickler bis zum globalen Rollout 2030 möglich, Innovationen im eigenen Land zu stärken und nationale Infrastrukturen mit einem möglichst hohen Grad an Unabhängigkeit aufzubauen.
Beim aktuellen Mobilfunkstandard 5G sind Endnutzerinnen und -nutzer auf einige wenige Hersteller angewiesen, welche hochintegrierte Funkumgebungen oft als Gesamtpaket anbieten. Dies soll sich mit 6G ändern, und somit einen höheren Grad der Datensouveränität garantieren. Statt ein komplettes Funkzugangsnetz anzuschaffen, kombiniert der Geschäftskunde die Hard- und Softwarekomponenten unterschiedlicher Hersteller miteinander. Auch die Virtualisierung und Modularisierung des Funkzugangsnetzes soll fortgesetzt werden. So soll garantiert werden, dass es nicht zu einer Monopolstellung großer Anbieter kommt, sondern auch kleinere Hersteller und Forschungsstellen sich einbringen können.
Aber wie können Kompatibilität und Interoperabilität bei einer größeren Menge von Anbietern garantiert werden? Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat mit dem 6G Hub Projekt den Aufbau von vier Hubs zur Erforschung der Zukunftstechnologie 6G eingleitet. Fraunhofer FOKUS ist am Aufbau von zwei der Hubs beteiligt. Für den Open6GHub soll ein offenes 6G-Kernnetz anhand des Vorbilds des Open5GCore erstellt werden. Mit den 6G Hubs möchte sich Europa innerhalb des globalen 6G-Harmonisierungsprozess positionieren, während die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und die technologische Souveränität auch auf deutscher Ebene gestärkt werden.