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»Digitales Lernen«

Lernen – also das Aneignen von Wissen und Kenntnissen und das Einprägen dieser im Gedächtnis – ist ein komplexer Vorgang. Denn es gibt nicht nur ein Gedächtnis, sondern unser Lern- und Erinnerungsvermögen findet in mehreren »Gedächtnissen« statt:
Im Arbeits- oder Kurzzeitgedächtnis werden Informationen höchstens wenige Minuten gespeichert. Mathematische Formeln, Vokabeln oder auch Urlaubserlebnisse speichern wir im deklarativen Langzeitgedächtnis. Diese Inhalte können wir bewusst zuordnen und abrufen. Bewegungsabläufe wie beim Sport oder dem Schreiben werden im prozeduralen Langzeitgedächtnis abgelegt, so dass wir sie beherrschen, ohne nachzudenken.

Damit wir Erkenntnisse jedoch im Langzeitgedächtnis ablegen, müssen sie aus dem Arbeitsgedächtnis übernommen werden. Konkret bedeutet dies: Wenn wir beispielsweise englische Wörter lernen, geschieht dies zunächst in der Großhirnrinde sowie im parietalen Cortex. Wir können so über die Bedeutung von neuen Wörtern nachdenken und Assoziationen erzeugen. Die Kapazität dieses »Speichers« ist jedoch begrenzt: Er fasst lediglich sieben plus/minus zwei Informationsbrocken und erlischt nach einigen Minuten. Damit solche neuen Informationen ins Langzeitgedächtnis wandern, hilft nur: üben, üben, üben.

Das Gehirn rekapituliert auf diese Weise Neuronenaktivitäten, in denen neue Informationen codiert sind, wieder und wieder. Dies geschieht häufig im Schlaf, wenn neue Eindrücke die Archivierung nicht stören können. Die Anzahl der Wiederholungen, die für eine dauerhafte Speicherung von Wissen nötig sind, hängt dabei auch davon ab, wie emotional neue Informationen sind. Wörter einer Fremdsprache behalten wir z. B. besser, wenn mit ihnen ein persönliches Erlebnis verbunden ist. Wie solche Erlebnisse auch beim virtuellen Lernen geschaffen werden könnnen, zeigen die Forschungsarbeiten von Fraunhofer FOKUS.

Virtuelles Lernen

Spätestens mit den Beschränkungen der Corona-Pandemie rückten virtuelle Veranstaltungen, Weiterbildungen oder auch ganze Studiengänge in den Fokus der Aufmerksamkeit. Dabei wurden schon lange vorher die Vorteile von virtuellem Lernen genutzt. So stellten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Fraunhofer FOKUS bereits im Wissenschaftsjahr 2018, das unter dem Motto »Arbeitswelten der Zukunft« stand, eine Software fertig, die Handwerker aktiv beim Lernen unterstützt. Die Lern-App konnten die Nutzerinnen und Nutzer ganz nach ihren Bedürfnissen anpassen. Anders als in einer statischen Lernumgebung wurde dafür ein Lernempfehlungssystem entwickelt, welches gezielt auf den erfassten Wissensstand reagiert und geeignete Empfehlungen zum Lernen anzeigt. So können Wissenslücken gezielt geschlossen werden und das prüfungsorientierte Lernen kann effizienter erfolgen.

Im Projekt Smart Learning in der Online-Weiterbildung haben FOKUS-Wissenschaftler eine Lernplattform mit KI-Unterstützung konzipiert und getestet. Durch digitale Medien, Lernempfehlungen und einen virtuellen Chatpartner schafft sie einen echten Mehrwert in Kursen zur Gebäude- und Energieberatung der Handwerkskammer Berlin. Auch Informatikstudenten der ehemaligen Beuth Hochschule Berlin (heute Berliner Hochschule für Technik) konnten die Plattform zur Studienvorbereitung nutzen. Dabei zeigte sich, dass sich vom Lernverhalten auf die Prüfungsnote schließen lässt. Studierende die nahezu alle Aufgaben auf der Plattform lösten, erreichten im Schnitt fast eine ganze Note besser im Abschlusstest als ihre weniger aktiven Kommilitonen. Aus diesem Grund beschäftigen sich die Forschenden von Fraunhofer FOKUS mit dem Einsatz ansprechender und abwechslungsreicher Darstellungsformen dieser Daten und der digitalen Lerninhalte, mit denen Studierende auf der Plattform noch mehr zum Lernen motiviert werden können. Die Anonymität soll trotz der aufschlussreichen Analysen gewahrt bleiben und so entscheiden die Nutzerinnen und Nutzer auch immer selbst, ob ihre Ergebnisse in anonymisierter Form mit dem Dozenten geteilt werden.

Common Learning Middleware

Aus diesem und weiteren Projekten hat sich nach und nach der Bedarf für eine Vermittlungskomponente für verschiedene Bildungsdienste entwickelt – es entstand die Fraunhofer Common Learning Middleware (CLM). Sie wird z. B. eingesetzt um die Lehr- und Lerntechnologien und Schulungsmaterialien der verschiedenen Fraunhofer-Institute in einem Angebot zu bündeln und auch anderen, externen Lernmanagementsystemen zur Verfügung zu stellen. Auch bei der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ins Leben gerufenen Nationalen Bildungsplattform wurde die CLM als einer von drei Prototypen im Rahmen des »mEDUator«-Projekts ausgewählt um die Mehrwerte und Potentiale dieses Konzepts für große Bildungsökosysteme aufzuzeigen.

Die Middleware wurde von Fraunhofer FOKUS bereits seit 2018 in zwei Phasen entwickelt. Sie fungiert als Mediator für alle relevanten Komponenten moderner Lernmanagement- und Bildungsökosysteme – einschließlich Benutzeroberflächen, Authentifizierungssysteme, Nutzer- und Eingschreibungsverwaltung sowie verschiedenen Datenbanken für Lernmedien, Metadaten sowie Profile- und Lerndaten. Darüber hinaus können an die interoperablen Schnittstellen diverse weitere Dienste angebunden werden, bspw. für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz zur Auswertung der Lernaktivitäten, die Präsentation von Inhalten in Virtuellen und Augmentierten Realitäten oder den sicheren Nachweis von Bildungszertifikaten mittels Blockchain-Technologien. Dabei müssen die Dienste nicht denselben Interoperabilitätsstandards folgen, da es dafür alternative Angebote gibt. So dient die Middleware auch als »Übersetzer« zwischen alternativen Spezifikationen (bspw. LTI und cmi5). Die Schnittstellen und das Design ermöglichen auch die Einbindung von unterschiedliche Lernsettings, so dass die Middleware für Blended-Learning-Kurse, Flipped-Classrooms, Workshops, berufsbegleitende Schulungen oder sogar Online-Kurse verwendet werden kann.

Die Common Learning Middleware ist in dieser Form die erste ihrer Art und spricht insbesondere Bildungseinrichtungen mit komplexen Bildungsökosystemen an, indem sie die Entwicklung interoperabler Software-Architekturen für langlebige adaptive Lernumgebungen erleichtert. Spätestens wenn es viele Applikationen, Inhalte und Dienstangebote innerhalb einer Infrastruktur gibt, wäre eine direkte Verknüpfung aller beteiligter Dienste kaum administrier- und wartbar, was die Einführung einer entsprechenden Middleware zur Orchestrierung der Dienste notwendig macht. Anstelle eines Monolithen ermöglicht die Mediator-Plattform komplexe Microservice-Infrastrukturen und das Best-of-Breed-Paradigma – bei dem es für jeden Bedarf spezialisierte Lösungen verschiedener Anbieter geben kann.

Künstliche Intelligenz beim Lernen

Die Möglichkeiten von ChatGPT haben das Thema Künstliche Intelligenz (KI) in den Fokus der medialen Aufmerksamkeit gerückt. Und gerade bei Lernmanagementsystemen kann KI eine wichtige Rolle spielen. In einem gemeinsamen Projekt haben die Fraunhofer-Institute FKIE, FOKUS und IOSB im Auftrag des Planungsamtes der Bundeswehr prototypisch den Einsatz von Techniken der Künstlichen Intelligenz am Beispiel der lehrgangsgebundenen Individualausbildung im Heer untersucht. Dabei wurden vier KI-Funktionalitäten (Lernempfehlungen, Chatbot, adaptive Aufgabenstellungen, Dashboard für Lehrende) identifiziert, in einem Demonstrator umgesetzt und mittels der CLM, einer mobilen Lernapplikation und dem vorhandenen Lernmanagementsystem »Moodle« zu einer KI-gestützten Lernumgebung verknüpft. In Interviews mit den Nutzerinnen und Nutzern des Demonstrators zeigte sich folgender Mehrwert durch den Einsatz von KI:

  • Spaß am Lernen und eine gesteigerte Motivation durch die eingebaute Lernfortschrittsanzeige.
  • Unterstützung beim Auffinden von Lerninhalten
  • Gesteigerte Flexibilität
  • Lerneffizienz, individueller Lernpfad
  • Optimierter Ressourceneinsatz, Zeitersparnis
  • Individuelle Förderung
  • Anpassung des Schwierigkeitsgrades

Zukünftig soll der Mehrwert noch gesteigert werden, indem die KI durch häufigeren Einsatz und die Ausweitung auf weitere Inhalte effektiver und effizienter wird. Auch weitere KI-Funktionen sind denkbar, wie z. B. smarte Editoren zur Kuration und Kreation, die Autorinnen und Autoren bei der Erstellung digitaler Lerninhalte unterstützen. Darüber hinaus können personalisierte Lernpfade den Schwächen von Lernenden besser begegnen und passende Hilfestellungen in Form von vorgeschlagenen Sequenzen von Lerninhalten anbieten.


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