FOKUS, Newsletter, Quantencomputing, 200225
TZIDO SUN/ shutterstoc

Vom Bit zum Qubit

Die Euphorie um Quantencomputer ist groß: Spätestens seit Google-Forscher im Jahr 2019 über mögliche »Quantum-Supremacy« in der Zeitschrift »Nature« berichteten, scheint ein neues Zeitalter angebrochen zu sein, in dem Science-Fiction zur Realität wird. Seit 2012 flossen 674 Millionen Dollar Risikokapital in Firmen, die sich mit Quantencomputing beschäftigen. Das Bundesforschungsministerium investiert bis 2022 zusätzlich 650 Millionen Euro in die Technologie. Quantencomputer sollen künftig dabei helfen, komplexe Berechnungen in deutlich kürzerer Zeit zu ermöglichen, als es »klassische« Computer können. Dadurch sind sie theoretisch in der Lage, Verschlüsselungen zu knacken, das menschliche Gehirn umfassend zu simulieren, bei der Optimierung von Verkehrsprognosen zu helfen oder die Entwicklung von Batterien oder neuen Materialien in der Chemie- und Pharmaindustrie zu beschleunigen. Schon ist die Rede vom »Quanteninternet«. Doch was ist eigentlich ein Quantencomputer und wie funktioniert er?

Annealer und universale Quantencomputer

Bisher ist das Bit der Maßstab aller Dinge. »Klassische« Rechner können durch die Aneinanderreihung von Bits, die den Zustand 0 oder 1 annehmen können, jede beliebige Art von Daten darstellen. Grundlage dafür sind die Transistoren, die als Schalter fungieren und so die Zustände 0 oder 1 erzeugen. Fließt durch einen Transistor Strom, liegt der Zustand 1 an. Fließt kein Strom, liegt der Zustand 0 vor. Die Leistungsfähigkeit unserer heutigen Rechner hängt somit im Wesentlichen von der Anzahl von Transistoren ab.

Quantencomputer hingegen rechnen mit sogenannten »Qubits« (Quantum Bit). Um sie zu erzeugen, gibt es mehrere Möglichkeiten. Eine ist, geladene Atome, die Ionen, in magnetische und elektrische Felder »einzusperren«. In solchen »Ionen-Fallen« können die Ionen mithilfe von Lasern in verschiedene Zustände gebracht werden. Ein Laser wird anschließend auch genutzt, um das Ergebnis abzulesen. Jedes einzelne Ion in dieser Falle ist ein Qubit. Interessant dabei: Ein Qubit kann in einem Quantencomputer alle möglichen Zustände annehmen – und das gleichzeitig. Dies führt dazu, dass ein Quantencomputer viele »Berechnungen« gleichzeitig ausführen kann. Ein Quantencomputer ist deshalb deutlich geeigneter für die Lösung bestimmter Fragen.

Das Problem dabei: Sobald Teilchen eine bestimmte Energie haben, die wir als Wärme kennen, beginnen sie sich zu bewegen. Wenn man sie manipulieren und einfangen (rechnen) will, muss man sie ruhigstellen. Dies geschieht, indem die Chips, auf denen die oben beschriebenen »Ionen-Fallen« aufgebracht sind, fast bis auf den absoluten Nullpunkt heruntergekühlt werden. Bei minus 273 Grad werden die Quanten gegen sämtliche Umwelteinflüsse abgeschirmt. Ein Quantencomputer arbeitet unter Vakuumbedingungen und ist gegen elektromagnetische Einflüsse geschützt. Auch externe Kräfte, wie Erschütterungen, könnten Fehler beim Auslesen der Ergebnisse erzeugen.

Quantencomputer ist dabei nicht gleich Quantencomputer. Universelle Quantenrechner erlauben es, prinzipiell jede Art von Rechenoperation auszuführen. Bisher existieren für solche Rechner nur wenige Algorithmen, also Rechenanweisungen. Anders als bei »klassischen« Computern, die mit Ja/Nein-Abfragen arbeiten, müssen sie völlig anders formuliert sein. Quanten-Algorithmen liefern so am Ende nicht ein eindeutiges Ergebnis, sondern Wahrscheinlichkeiten für verschiedene Ergebnisse, aus denen erst nach mehreren Durchläufen der Berechnung die wahrscheinlichste Antwort ermittelt werden kann. Neben solchen universellen Quantenrechnern gibt es die sogenannten Quantenannealer, die anders aufgebaut sind und sich für ganz bestimmte Aufgaben eher eignen.

Quantencomputing bei Fraunhofer

Die Fraunhofer-Gesellschaft bündelt ihre Kompetenzen zum Quantencomputing im gerade neu entstehenden »Fraunhofer-Center für Quantencomputing«. Fraunhofer baut zusammen mit IBM den ersten universellen Quantencomputer in Europa in einem Rechenzentrum bei Stuttgart auf. Ab 2021 soll der Computer für die anwendungsnahe Quantencomputing-Forschung zur Verfügung stehen. »Eine unserer zentralen Forschungsfragen ist, welche konkreten Anwendungsszenarien der Industrie sich für die Berechnung mit einem Quantencomputer eignen und wie sich die notwendigen Algorithmen dafür entwickeln und einfach in Applikationen übersetzen lassen«, sagt Prof. Manfred Hauswirth, geschäftsführender Institutsleiter bei Fraunhofer FOKUS und Co-Sprecher für den Bereich Quantencomputing der Fraunhofer-Gesellschaft. Mit dem europäischen Quantencomputer wird auch die digitale Souveränität gewahrt. Die Daten werden nach europäischem Recht verarbeitet und unterliegen europäischen Datenschutzstandards. »Bis Quantencomputer aus den Laboren in die breite Anwendung kommen, werden sicher zehn Jahre vergehen, vielleicht auch zwanzig«, sagt Manfred Hauswirth. »Wichtiger ist es aber, dann, wenn es soweit ist, mit der notwendigen Software und Expertise bereitzustehen. Wir wissen ja heute schon, wohin die Reise geht, denn wir gestalten sie mit. Und Fraunhofer hat eine zentrale Bedeutung dabei, um die Industrie und angewandte Forschung jetzt in Stellung zu bringen und aufzubauen«.

Eine Plattform für Quantenunterstützte Künstliche Intelligenz

Im Januar 2020 startete das Projekt »Plattform und Ökosystem für quantenunterstützte Künstliche Intelligenz« (PlanQK). In den nächsten drei Jahren wird in dem Projekt an einer Plattform für quantenunterstützte Künstliche Intelligenz gearbeitet. Fraunhofer FOKUS forscht zusammen mit 14 Projektpartnern an der Umsetzung verschiedener Anwendungsfälle aus drei typischen Bereichen: »Prognose und Klassifizierung«, »Wartung und Erkennung« sowie »Planung und Optimierung«. Unter anderem sollen dabei KI-basierte Lösungen entwickelt werden – z. B. zur Prognose und Klassifizierung von Anomalie- und Betrugserkennung im Finanzsektor, für die Wartung in der Industrie und im öffentlichen Personennahverkehr, die Instandhaltung der Stadtmöblierung (wie z. B. Parkbänken, Straßenlaternen) oder des Straßenzustands, die Optimierung von Produktionslinien in der Industrie oder die Vernetzung und Steuerung von Industriekomponenten. Darüber hinaus erweitert Fraunhofer FOKUS die PlanQK-Plattform um ein semantisches Management des Wissens, so dass dieses auch maschinenlesbar und interpretierbar für KI-basierte Funktionen zur Verfügung steht. Mit einer semantischen Suche lassen sich so Akronyme wie z. B. »ANN« als »Artificial Neural Networks« auflösen.

Solche KI-Anwendungen verbrauchen jedoch immer mehr Rechenzeit. Hier können Quantencomputer dazu beitragen, die nötigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Das Problem dabei: Um KI-Anwendungen zu entwickeln, die von Quantencomputern profitieren können, wird neben dem Domänen- auch KI-Wissen benötigt. Für Unternehmen sind diese Fähigkeiten oft nur schwer aufzubauen. Im PlanQK-Projekt entsteht daher eine Community aus unterschiedlichen Experten, die durch technisch sinnvolle Schnittstellen zusammenarbeiten können. Nutzer können auf einen Quanten-AppStore zugreifen und sich die Lösungen für ihr Unternehmen zusammenstellen oder in Auftrag geben. Entwickler können auf einfache Weise Quantum-Plattformen nutzen und so ihre KI-Algorithmen erweitern und verbessern. Und Spezialisten stellen Konzepte bereit, die Quantum Computing auch ohne spezielle Expertise einfach zugänglich macht.

Die Projekte zeigen, dass Quantencomputing nicht mehr nur Science-Fiction ist. Auch wenn Quantencomputer wahrscheinlich nie so alltäglich wie der PC auf dem heimischen Schreibtisch sein werden, ermöglichen sie uns in vielen Anwendungsbereichen ganz neue Möglichkeiten. »Wahrscheinlich ist, dass sich Cloud-Modelle durchsetzen, sozusagen der Quantencomputer-as-a-Service, ebenso wie Mischformen aus traditionellem High-Performance-Computing und Quantencomputing«, schätzt Manfred Hauswirth die Entwicklung ein.


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