Jahresbericht 2018 - Leihräder in Berlin
Philipp Plum/ Fraunhofer FOKUS

Kann Digitalisierung nachhaltig sein?

Wenn aktuell über Digitalisierung gesprochen wird, geht es nicht zuvorderst darum, dass sie Ressourcen schont und zum Erreichen der Klimaziele beiträgt, also nachhaltig wirkt. Um aber den digitalen Wandel nachhaltig zu gestalten, bedarf es neben wirtschaftlichen Überlegungen auch eines Blickes auf die ökologischen und sozialen Komponenten.

Im Sinne der Generationengerechtigkeit geht es nicht nur darum, die Bedürfnisse der heutigen Generation zu beachten, sondern ebenfalls die der zukünftigen. So formulierten es auch 2015 die Vereinten Nationen in ihren 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung, die für alle Staaten als Richtschnur bis zum Jahr 2030 dienen.1 In diesem Sinne ist es wichtig, Bewusstsein zu schaffen: Vieles bei der Digitalisierung geschieht, ohne dass wir uns der verwendeten Ressourcen bewusst sind. Was bedeutet es schon, »mal schnell etwas zu googlen«? Welche Ressourcen und wie viel Energie müssen dafür zur Verfügung gestellt werden? Rund 3,8 Millionen Suchanfragen wurden 2018 jede Minute weltweit gestellt.2 Die monatlichen Suchanfragen eines Nutzers verbrauchen in etwa so viel Strom wie eine 60-Watt-Glühlampe in drei Stunden.3

Ressourcenverbrauch durch Digitalisierung

Für die zunehmende Vernetzung werden auch leistungsfähige Rechnerinfrastrukturen gebraucht. Serverfarmen werden unter großem Ressourcen- und Materialaufwand betrieben und benötigen enorme Strommengen. Im Jahr 2016 betrug der Gesamtenergiebedarf deutscher Rechenzentren, laut Bundesregierung, 12,4 Milliarden kWh. Damit sind Rechenzentren für zwei Prozent des Stromverbrauchs verantwortlich4 – zwischen 30 bis 50 Prozent davon verbraucht allein die Kühlung.5 Viele Firmen haben deshalb ihre Server in kühlere Regionen verlagert oder nutzen Kraftwärmekopplung oder eine Art »Blockheizkraftwerk« zur Rechnerkühlung (Wärmetauscher) und verwenden die bei der Kühlung freigesetzte Wärme für Fernwärme oder zur Energieerzeugung. Wäre das Internet ein Land, wäre es laut einer Greenpeace-Studie der fünftgrößte Energieverbraucher der Welt.6 Endgeräte, Datenzentren und Kommunikationsnetze benötigen als Infrastruktur zusammen jedes Jahr rund 900 TWh und damit rund vier Prozent des weltweiten Stromverbrauchs.7 Allein in Deutschland verbraucht die gesamte Internet-Infrastruktur pro Jahr etwa 55 TWh Energie8 und erzeugt dabei so viel CO2 wie der jährliche innerdeutsche Flugverkehr.9 Würden IT-Anwendungen intelligent vernetzt, könnte dies einen großen ökologischen Beitrag leisten. Allein in Deutschland könnten bis zu 190 Millionen Tonnen CO2 jährlich eingespart werden, so die Bundesregierung.10 

Ähnliches gilt auch für den Verkehrssektor. Verkehrssteuerungssysteme optimieren nicht nur den Verkehr, sondern können auch viel Energie sparen. Durch optimierte Routenführung ließen sich zehn Prozent Treibstoff einsparen,11 durch Car-to-Car-Kommunikation rund 20 Prozent.12 Eine intelligente Verknüpfung verschiedener Mobilitätsangebote wie Car-Sharing, ÖPNV und Miet(elektro)räder kann ebenfalls Ressourcen sparen. Aber eines ist klar: CO2 einzusparen allein reicht nicht aus, um eine nachhaltige Gesellschaft zu entwickeln. Mit Blick auf die Nachhaltigkeit spielt beispielsweise auch der Ressourcenverbrauch bei der Produktion eine wesentliche Rolle. 

Ein weiteres Problem ist, dass Hersteller den Markt mit neuen Produkten versorgen müssen, um wirtschaftlich überleben zu können. Verstärkt wird dieses Problem durch immer kürzer werdende Technologie-Zyklen, die die Ersetzung von Produkten beschleunigen. So werden Langlebigkeit oder alternative Ertragsströme derzeit gesamtwirtschaftlich kaum beachtet. Software-Updates werden eingestellt, Akkus aus Designgründen fest verbaut, teure Ersatzteile machen Reparaturen unwirtschaftlich. Mangelnde Reparaturfähigkeit führt wiederum zu zunehmender Nachfrage und damit zu einer erneut erhöhten Produktion. Die Nachfrage nach Rohstoffen wie Metallen und seltenen Erden steigt. Oft werden dafür in Entwicklungs- und Schwellenländern rücksichtslos Mensch und Umwelt ausgebeutet. 

Ressourcenschonende Digitalisierung

Eine Lösung kann die Stärkung der Kreislaufwirtschaft sein, unterstützt durch Digitalisierung. So kann ein systematisches Qualitätsmanagement einschließlich frühzeitiger und umfassender Softwaretests und -updates Ausfälle von Geräten und Infrastrukturen verhindern. Nach Branchenberechnungen entstehen durch Softwarefehler allein in deutschen Unternehmen jährlich Verluste von rund 84,4 Milliarden Euro.13 Zusätzlich kann durch die Digitalisierung industrieller und landwirtschaftlicher Prozesse nicht nur Energie eingespart, sondern zudem eine höhere Produktivität und Effizienz erreicht werden. In der Landwirtschaft würde so beispielsweise der Einsatz von Dünger und Wasser reduziert und eine ökologisch verträglichere Landwirtschaft erreicht.14

Auch in der Informatik findet ein Umdenken statt: Nicht alle Daten müssen in die Cloud geschickt werden, was viel Energie verbraucht. Dezentrale Datenverarbeitung ist eine vielversprechende Alternative mit signifikanten Energieeinsparpotenzialen, da weniger Daten transportiert und gespeichert werden müssen. Datenportale wie für urbane Datenräume können helfen, die Mehrfacherhebung von Daten zu reduzieren.15 Nur was bringen die Daten, wenn sie nicht vernetzt werden können? Die fehlende Interoperabilität ist ein akutes Problem. Standardbasierte Digitalisierung kann dabei helfen, den Flickenteppich von oft inkompatiblen Lösungen zu beseitigen. Sie ist ebenso eine große Chance, um den Zugang zu Bildung zu vereinfachen, das lebenslange Lernen für alle zu fördern und Wirtschaft und Verwaltung zu unterstützen. Und das sind nur einige Beispiele, bei denen durch ressourceneffiziente und intelligente Lösungen der Digitalisierung die Nachhaltigkeitsziele (SDGs) adressiert werden.16 Jedoch kann eine nachhaltige Digitalisierung in Breite nur gelingen, wenn ein Umdenken in allen gesellschaftlichen Bereichen stattfindet, das Bewusstsein für eine nachhaltige Entwicklung geschärft wird und in Aktion mündet. Fraunhofer FOKUS schafft dafür die technologischen Voraussetzungen und demonstriert Lösungsoptionen.