Jahresbericht 2018, Interview Ina Schieferdecker, Manfred Hauswirth
Philipp Plum/ Fraunhofer FOKUS

»Nachhaltigkeit muss von Anfang an mitgedacht werden«

Über die Notwendigkeit einer nachhaltigen Digitalisierung sprach Ulf Hoffmann mit den FOKUS-Institutsleitern Prof. Dr.-Ing. Ina Schieferdecker und Prof. Dr. Manfred Hauswirth.

Kann Digitalisierung nachhaltig sein?

Ina Schieferdecker: Nicht nur kann, sie muss selber inhärent nachhaltig sein und nachhaltig konzipiert werden. Nachhaltigkeit muss beispielsweise wie IT-Sicherheit oder Usability von Anfang an mitgedacht werden. Dazu muss man sich auf nationaler und internationaler Ebene einig werden, wie der digitale Wandel zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele der UN genutzt und mit diesen synchronisiert wird.

Wie kann Fraunhofer FOKUS zur Nachhaltigkeit beitragen?

Manfred Hauswirth: Es gibt ganz klare Bereiche der Digitalisierung, die nachhaltig sein können, in denen wir auch aktiv sind. Mein Aha-Erlebnis war das Thema Industriewasser. Ein Stahlwerk musste heruntergefahren werden, weil sie nicht früh genug Informationen über den Erwärmungsgrad und Pegel des Rheins hatten. Aktuell bekamen sie ihre Daten per Fax. Ein Stahlwerk fährt man nicht wie einen Computer herunter, das dauert mehrere Tage. Der Produktionsausfall summierte sich dann auf einen signifikanten Millionenbetrag. Das ist eine rein wirtschaftliche Herangehensweise, doch sie ist nützlich, weil es wirtschaftliche Potenziale aufzeigt, und eine Abwehrhaltung gegenüber Nachhaltigkeit auflösen kann.

Ina Schieferdecker: Wir müssen dafür sorgen, dass Digitalisierung Lösungen bietet, die zukunftssicher und interoperabel sind und zur Bestandsinfrastruktur passen. Wir müssen nicht ständig das Rad neu erfinden. So war ein wesentlicher Beitrag von FOKUS in den vergangenen 30 Jahren die Mitarbeit an internationalen offenen Standards, über Lizenzen bis hin zur Mitentwicklung einer interoperablen, standardbasierten Infrastruktur mit offenen Schnittstellen und Formaten im öffentlichen Raum, in Verwaltung und Wirtschaft. Ein anderes Beispiel: Auch die Energiewende gelingt nur mit der Digitalisierung, um die Volatilitäten und Flexibilitäten der Erneuerbaren zu managen. Und über kurz oder lang – so mein Eindruck – wird eine CO2-Steuer oder allgemeiner Ressourcen-Steuer kommen – wiederum ermöglicht durch Monitoring und Tracing mittels Digitalisierung.

Manfred Hauswirth: Das ist für mich ein klassischer Zielkonflikt, weil mit einer einfachen Ursache-Wirkung-Beziehung gearbeitet wird. Man sagt z. B., wir brauchen mehr Elektromobilität, um weniger CO2 zu emittieren. Andererseits ist die Batterietechnik derzeit alles andere als nachhaltig und umweltfreundlich und dazu auch noch sehr stark von seltenen Erden abhängig, was neue Abhängigkeiten schafft.

Ina Schieferdecker: Ja, die Kreislaufwirtschaft ist definitiv ein wichtiger Baustein, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, und da ist Digitalisierung wiederum ein wichtiges Instrument. Und eine CO2-Steuer sollte nicht nur am Ausstoß berechnet werden, sondern über den gesamten Lebenszyklus. FOKUS war schon an verschiedenen CO2-Footprint-Projekten beteiligt. Und eigentlich müsste man einen vollständig neuen Mechanismus im Produktkreislauf in Gang setzen, damit das funktioniert.

Schrifttafel Museum
Philipp Plum/ Fraunhofer FOKUS

Was hat jedermann von der Digitalisierung, vielleicht weil er oder sie nicht mehr drei Mal aufs Amt gehen muss?

Manfred Hauswirth: Das wäre ein gutes Beispiel. Einzig in Deutschland bekommen wir das nicht hin. Das ist eine Schande für ein hochtechnologisches Land. Diese unsägliche Papierbürokratie. Wenn ich in Deutschland keine Postadresse habe, existiere ich nicht.

Ina Schieferdecker: Das ist die Grunddiskussion. Digitalisierung kann viele Dinge effizienter, komfortabler, zuverlässiger und auch sicherer machen – solange wir die digitalen Lösungen nach unseren Leitlinien gestalten und absichern.

Man muss aber die Gesellschaft mitnehmen, denn sie hat Angst vor der Digitalisierung.

Ina Schieferdecker: Warum nur? Man sollte eher Angst haben, dass wir nicht digitalisieren. 

Viele haben Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, dass sich die Arbeit extrem verändert, und ihre Daten irgendwo hingeschoben werden.

Manfred Hauswirth: Aber das tun sie ja bereits. Das ist für mich der Widerspruch. Wir geben freigiebig sämtliche Daten, Bewegungs-, Sprach- und Biodaten an Internetkonzerne. Wenn aber in Deutschland der Wunsch nach einem Personenregister aufkommt, wird aufgeschrien. Das verstehe ich nicht. Ich hoffe, dass ich meinem Staat mehr vertrauen kann als einem amerikanischen Internetkonzern.

Ina Schieferdecker: Digitalisierung ist ein riesiges mächtiges Instrument und dieses Instrument ist nicht das Problem, sondern was wir damit machen, und deshalb müssen wir über die Weiterentwicklung der Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme reden. 

Wie wichtig sind offene Datenportale für eine nachhaltige Entwicklung?

Ina Schieferdecker: Der Mehrwert offener Daten besteht, neben Transparenz und Partizipation, in der Stärkung der Wirtschaft durch neue bzw. erweiterte Geschäftsmöglichkeiten. Offene Daten sind die Grundlage für eine smarte Stadt und damit eine Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung. Und wenn ich weiß, dass die Daten bereits erhoben wurden, kann auch dies Ressourcen sparen. Mittlerweile fassen wir es aber weiter: Neben den offenen Daten kommt es auf ein umfassendes digitales Angebot zu urbanen Daten an, so dass sich Optimierungs- und Mehrwertpotenziale unter Wahrung der (Daten-)Hoheit der Kommunen schöpfen lassen.

Nachhaltige Digitalisierung
Philipp Plum/ Fraunhofer FOKUS

Kann 5G die Nachhaltigkeit stärken?

Manfred Hauswirth: Es gibt in 5G Ansätze, die Samen für Nachhaltigkeit sein können. 5G virtualisiert das Netzwerk, wie wir es schon zuvor mit der Cloud erlebt haben. Bis jetzt war die Kommunikationsverarbeitung von der Informationsverarbeitung getrennt. Mit 5G als Virtualisierungsplattform kann das zusammenwachsen. 5G erweitert die Kommunikationsund Informationsmöglichkeiten. Das hat den Effekt, dass niemand mehr einen Cluster aus Spezialanwendungen vorhält, sondern als Software zukauft. Das kann zur Nachhaltigkeit beitragen, weil existierende Ressourcen wiederverwendet werden. Andererseits kann man aber auch die Informationsverarbeitung ins Netzwerk integrieren bzw. vor Ort durchführen, Stichwort »Edge Cloud«. Daten werden somit nicht mehr »in die USA geschickt« und damit der Monopolbildung entgegengewirkt und die nationale Datenhoheit gestärkt.

Werden wir erleben, dass die riesigen Datenzentren zurückgebaut werden?

Ina Schieferdecker: Nein, es werden noch mehr Daten produziert werden. Denn die Cloud-Angebote kosten derzeit fast nichts. Das ist falsch, aber der Wandel wird Zeit benötigen. Die Flatrate ist der Todesstoß für die Nachhaltigkeit?

Manfred Hauswirth: Nein, wir haben wichtige Projekte zur Telefonie durchgeführt, denken Sie beispielsweise an das VoIP-Protokoll, an dem FOKUS mitgewirkt hat. Das war auch entscheidend für die Ermöglichung von Flatrates. Aus Endnutzersicht gibt es nichts Besseres als Flatrates. Aber im B2B-Kontext müssen wir weg von der Flatrate. 

Früher gab es in der Telefonzelle den Spruch: Fasse dich kurz.

Ina Schieferdecker: Ja, weil es um eine knappe Ressource ging. Datenzentren werden im Jahr 2030 voraussichtlich 11 Prozent des weltweiten Energieaufkommens beanspruchen. Und es gibt viel Datenmüll, der Ressourcen frisst. Anders herum, wenn es uns gelingt, weg vom Cloud Computing zu kommen, wenn wir mit Fog und Edge Computing sinnvollere ressourcensparende Anwendungen entwickeln, dann haben wir einen Schritt nach vorne geschafft.

Vielen Dank für das Gespräch.