Pilotstudie »KI-gestütztes Einwendungsmanagement«: Assistenzlösungen in Planfeststellungsprozessen

Studie im Auftrag des DSZF belegt erhebliches Potenzial für KI-Assistenzlösungen in Planfeststellungsprozessen

01. Mai 2021 bis 31. Dez. 2021

Aufgabe und Problemstellung

Im Rahmen des gesetzlich geregelten Planfeststellungsprozesses haben Betroffene bei großen Investitionsvorhaben die Möglichkeit, Einwendungen zu erheben, und Träger öffentlicher Belange können Stellungnahmen einreichen. Der Vorhabenträger reagiert auf jedes derartige Schreiben mit einer Erwiderung, in der alle in der Einwendung bzw. Stellungnahme aufgeführten Argumente adressiert werden.

Als zuständige Planfeststellungsbehörde für Eisenbahnen des Bundes ist das Eisenbahn-Bundesamt für die Bearbeitung dieses Schriftverkehrs zuständig. Dieser bisher rein manuelle und sehr aufwändige Prozess umfasst primär:

  • die Analyse von Einwendungen und Stellungnahmen zur Identifikation von inhaltlichen Argument-Segmenten (in Abgrenzung zu inhaltlich irrelevanten Textteilen, z.B. Grußformeln),
  • die Zuordnung der aufgefundenen Argumente zu Kategorien aus einem vorgegebenen Themenkatalog (Klassifikation)
  • und die detaillierte Gegenüberstellung der aufgefundenen Argumente mit den entsprechenden Textteilen der Erwiderungen.

Die teilweise große Menge strukturell heterogener Eingangsdaten muss manuell importiert und fristgerecht bearbeitet werden. Nicht selten zieht sich das Verfahren in die Länge und verzögert die Realisierung von Projekten. Das Verwaltungsverfahren bindet viele Ressourcen bei Personal, Zeit und Kosten.

Um Potenziale von künstlicher Intelligenz (KI) für das Planungsfeststellungsverfahren herauszuarbeiten, hat FOKUS zusammen mit und im Unterauftrag von Sopra Steria SE im Auftrag des Eisenbahn-Bundesamts die Pilotstudie »KI-gestütztes Einwendungsmanagement« entwickelt und umgesetzt.

Die Studie hat untersucht, inwieweit die Arbeitsprozesse des o.g. Verwaltungsverfahrens durch KI-basierte Methoden der maschinellen Textverarbeitung assistiv unterstützt werden können. Im Ergebnis wurden Methoden und Einsatzszenarien identifiziert, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlasten sowie die Prozesseffizienz steigern.


Lösungsansatz und technische Umsetzung

Um die Potentiale der KI-basierten Automatisierung auszuloten, stand im ersten Schritt die Recherche von grundsätzlich geeigneten Verfahren für die maschinelle Texterarbeitung an, später wurden darauf basierende Lösungsansätze anhand eines konkreten Beispieldatensatzes bewertet. Die Ergebnisse der Untersuchung lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Bis zu 85% der argumentativen Segmente können automatisch korrekt als solche identifiziert werden.
  • Vorschläge zur Klassifizierung von Einwendungsargumenten auf Basis des vorgegebenen Themenkatalogs lassen sich mit hoher Genauigkeit von mehr als 80% ableiten.
  • Ähnliche Argumente (z.B. durch Aufbau auf Musterschreiben) lassen sich effizient identifizieren.
  • Plausibilitätsprüfungen auf der Basis textueller Übereinstimmung liefern belastbare Indikatoren für potenzielle Unstimmigkeiten in Gegenüberstellungen.


PoC-Demonstrator präsentiert
Potenziale KI-basierter Verfahren

Im Rahmen der Studie wurde auch ein Demonstrator entwickelt. Er zeigt als Proof-of-Concept (PoC), wie sich die Segmenterkennung und die Klassifizierung nach Themen in den Fachprozess integrieren lassen. So können in der entwickelten Web-Anwendung vorgegebene Testdokumente oder frei editierbare Texte angezeigt und nachbearbeitet werden. Dabei unterstützt ein vortrainiertes KI-Modell die Analyse und Bereitstellung von Ergebnissen.


Studienergebnis zeigt Eignung
von KI im Einwendungsmanagement

Die Studienergebnisse zeigen, dass KI-basierte Lernverfahren geeignet sind, um wesentliche Aufgaben im Prozess des Einwendungsmanagements in Teilen zu automatisieren. Dabei ist eine Umsetzung auf Grundlage von Open-Source-Bausteinen und ohne Abhängigkeiten von externen Diensten oder Cloud-Anwendungen problemlos möglich. Somit sind auch die für Behörden essenziellen besonderen Anforderungen an den Datenschutz und die Datensouveränität erfüllbar.

Die Teilautomatisierung entlastet die Arbeit im Prozess. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten Vorschläge, die sie dann überprüfen und freigeben. Die Entscheidungshoheit verbleibt also stets bei den Mitarbeitenden, wodurch auch Transparenz und Nachvollziehbarkeit gewahrt bleiben. Die erreichbaren Genauigkeiten sind ausreichend hoch, um die entwickelten Verfahren bereits heute als integralen Baustein im ganzheitlichen Prozess des Einwendungsmanagements umzusetzen.

Handlungsempfehlungen für den Praxisalltag

Aus der Pilotstudie wurde folgende Handlungsempfehlungen abgeleitet, um KI-basierte Automatisierung in die Verfahrenspraxis zu überführen:

  • Verwendung eines einheitlichen Themenkatalogs und Sammlung von Trainingsdaten bei der aktuellen (manuellen) Bearbeitung, um eine ausreichend große Datenbasis für das initiale Training der KI-Modelle und die spätere Umsetzung zu haben
  • Umsetzung einer intuitiv bedienbaren Benutzerschnittstelle, die eine schnelle Erfassung der Vorschlagsgüte ermöglicht und komfortable Funktionen zur manuellen Validierung bereitstellt
  • Nutzung der Informationen aus der manuellen Validierung der automatisch generierten Vorschläge als Eingangsgrößen für die fortlaufende Verbesserung der KI-Modelle
  • Berücksichtigung von KI-Modellen bereits bei der initialen Konzeption von Prozessen und unterstützenden Systemen und entsprechende Einbettung in die IT- und Prozesslandschaft
  • Frühzeitige und proaktive Begleitung der Einführung im Sinne eines Change-Managements, um etwaige Vorbehalte gegenüber KI frühzeitig entkräften und Akzeptanz gewinnen zu können