»Kooperatives Sehen« von automatisierten Autos schützt Radfahrer
News vom 24. Jan. 2022
In unübersichtlichen Verkehrssituationen kommt es vor, dass Radfahrer selbst für die modernsten Fahrzeug-Sensoren schwer zu erkennen sind – zum Beispiel, wenn sie für ein paar Sekunden durch einen haltenden Bus verdeckt sind. Fraunhofer FOKUS hat im Projekt Reallabor Hamburg sein Simulationsframework Eclipse MOSAIC genutzt, um zu zeigen, dass eine unterbrechungsfreie Objekterkennung durch eine Fusion von LIDAR-Daten mehrerer automatisierter Autos gelingt und so besonders gefährdete Personen im Straßenverkehr in Zukunft noch besser geschützt sind.
Im Gegensatz zu Personen im Auto, Bus oder LKW sind Menschen, die per Rad, zu Fuß oder E-Scooter unterwegs sind, schlechter bei einer Kollision geschützt. Deshalb entwickelte und evaluierte Fraunhofer FOKUS mit Industriepartnern im Projekt Reallabor Hamburg in den letzten 1,5-Jahren Technologien und Anwendungen zur besseren digitalen Vernetzung und damit für einen besseren Schutz dieser Gruppe, den sogenannten »Vulnerable Road Usern« (VRU).
Ein Schwerpunkt des FOKUS-Forschungsteams lag auf der Entwicklung einer hochgenauen Lokalisierung von VRU. Denn automatisierte Autos können zwar sich und andere automatisierte Fahrzeuge aufgrund ihrer diversen Sensoren bereits präzise lokalisieren, ausgerechnet die VRU aber bleiben außen vor. Genutzt wurden dafür GPS-Daten der Smartphones der VRU, die mit digitalen Karten abgeglichen werden. Die Daten werden dafür in einer lokalen Cloud – Mobile Edge Cloud, kurz MEC – gespeichert und analysiert. Dieser Location-as-a-Service (LaaS) kann z. B. in Apps zur Kollisionswarnung integriert werden, um deren Zuverlässigkeit zu verbessern.
Das Team zeigte außerdem in einer Simulation, dass die Fusion von LIDAR-Daten von benachbarten Autos, die in einem Umkreis von ungefähr 100 m fahren, blinde Flecken in der Objektwahrnehmung dieser Fahrzeuge vermeidet und so sicherstellt, dass VRU im Straßenverkehr ohne Unterbrechungen erkannt werden. Die Fusion erfolgt dabei wie bei LaaS auch in der MEC.
Die Forschenden des Geschäftsbereichs Smart Mobility simulierten dafür eine unübersichtliche Verkehrssituation am Sievekingplatz bei der Hamburger Messe mit drei hochautomatisierten Autos, einem Bus, der gerade an einer Station hält, einem Radweg, der genau an der Bushaltestelle vorbeiführt, sowie einer Person, die auf einem Rad fährt. Hierzu koppelten sie mit ihrem Open-Source-Simulationsframework Eclipse MOSAIC Simulatoren für die Verkehrsteilnehmer, die Kommunikation sowie die Anwendung, in dem Fall der Fusion der LIDAR-Daten in der MEC. Für die Bewegungen der Verkehrsteilnehmer und die LIDAR-Sensorik wurde der von FOKUS entwickelte detailgetreue Fahrzeug-Simulator Phabmacs integriert.
Die Simulation wurde so choreografiert, dass eines der drei Fahrzeuge selbst im sicherheitsrelevanten Nahbereich für zwei Sekunden die Person auf dem Rad nicht wahrnehmen kann, da sie vom Bus verdeckt wird. Während der Simulation wurden die regelmäßig aufgenommenen LIDAR-Punktwolken der einzelnen Fahrzeuge an den MEC-Server kommuniziert und dort verarbeitet. Dadurch konnte die anschließende Objekterkennung verbessert werden, so dass alle drei Fahrzeuge zu jeder Zeit die Person auf dem Rad wahrnehmen konnten. Üblicherweise nutzen automatisierte Autos zur Objekterkennung nur eigene Sensordaten. Die Simulation hat gezeigt, dass ein optimales Ergebnis erzielt wird, wenn bereits die LIDAR-Daten fusioniert werden und nicht erst die Bounding Boxen, die die Objekterkennung anzeigen. Das Team hat zudem herausgefunden, dass bereits eine verbesserte Wahrnehmung erzielt wird, wenn die akkurateste Erkennung des Radfahrers eines Fahrzeugs zwischen Autos in der Umgebung geteilt wird.
Zusätzlich zum Toten-Winkel-Assistenten könnten Autofahrerinnen und Autofahrer so zukünftig vor verdeckten VRU gewarnt und Unfälle vermieden werden.
Das Projekt Reallabor Hamburg wurde Ende 2021 nach 1,5-jähriger Laufzeit abgeschlossen. Es wurde vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) mit rund 20,5 Millionen Euro gefördert. In insgesamt 11 Teilprojekten wurde gezeigt, welche digitalen Mobilitätslösungen sich unter realen Bedingungen bewähren, und Menschen einen echten Mehrwert bieten können.